Virtuelle Gesellschafterversammlungen – gekommen, um zu bleiben

Virtuelle Gesellschafterversammlung Österreich EY Law Legal News Rechtsanwalt

Die Durchführung virtueller Gesellschafterversammlungen ist seit 14.07.2023 dauerhaft möglich. Im Gegensatz zur bisherigen COVID-19-Gesetzgebung können virtuelle Versammlungen jedoch nur abgehalten werden, sofern sich dazu entsprechende Regelungen im Gesellschaftsvertrag, in der Satzung bzw. in den Statuten finden.

Anwendungsbereich

Im Rahmen der COVID-19-Gesetzgebung wurde die Möglichkeit geschaffen, Gesellschafterversammlungen auch virtuell abzuhalten. Die entsprechenden Regelungen waren jeweils zeitlich befristet, letztmalig bis 30.06.2023. Nachdem sich die Durchführung von Gesellschafterversammlungen unter Einsatz technischer Kommunikationsmittel, insbesondere über eine Videokonferenz, in der Praxis bewährt hat, wurde mit dem Gesetz über die Durchführung virtueller Gesellschafterversammlungen (Virtuelle Gesellschafterversammlungen-Gesetz — VirtGesG) nun eine dauerhafte gesetzliche Grundlage geschaffen.

Das VirtGesG gilt für Kapitalgesellschaften, Genossenschaften, Vereine, Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit, kleine Versicherungsvereine und Sparkassen. Anders als im Rahmen der COVID-19-Gesetzgebung ist das VirtGesG auf Personengesellschaften und Privatstiftungen nicht anwendbar. Ebenso umfasst es ausschließlich Gesellschafterversammlungen, nicht jedoch Versammlungen von Organmitgliedern.

Der Gesellschaftsvertrag kann
die ausschließliche Durchführung
einer bestimmten Form
einer virtuellen Versammlung
festlegen.

Florian Haiderer, Rechtsanwalt bei EY Law

Arten virtueller Versammlungen

Das VirtGesG bietet folgende drei Möglichkeiten für die Durchführung virtueller Versammlungen:

Einfache virtuelle Versammlung
Wie schon bisher im Rahmen der COVID-19-Gesetzgebung vorgesehen ist der Grundfall die einfache virtuelle Versammlung. Erforderlich dafür ist eine akustische und optische Zweiwegverbindung in Echtzeit mit den Teilnehmer:innen, sodass sich jede teilnehmende Person unmittelbar zu Wort melden, sich an Abstimmungen beteiligen und Widerspruch erheben kann. Im Ergebnis bedeutet dies praktisch etwa eine klassische Videokonferenz über MS-Teams oder Zoom.

Moderierte virtuelle Versammlung (mit einem:einer Versammlungsleiter:in)
Im Unterschied zur einfachen virtuellen Versammlung genügt bei dieser Option die Übertragung der Versammlung für die Teilnehmer:innen optisch und akustisch in Echtzeit. Gesellschafter:innen können damit dem Verlauf der Versammlung folgen, sich aber nicht unmittelbar zu Wort melden oder abstimmen. Freilich ist auch bei dieser Variante den Gesellschafter:innen eine Redemöglichkeit per Videokommunikation zu gewähren, ebenso die Stimmrechtsausübung sowie Widerspruchsmöglichkeiten (z. B. Textfelder über ein Gesellschafterportal, Abstimmungssoftware, spezielle E-Mail-Adressen etc.). So kann etwa der:die Versammlungsleiter:in bestimmten Personen durchgehend eine Redemöglichkeit einräumen, während andere sich erst nach Freischaltung zu Wort melden können. Diese Möglichkeit bietet sich daher für Gesellschaften mit einem großen Teilnehmerkreis an, bei denen die herkömmliche Videokonferenz im Wege der optischen und akustischen Zweiwegverbindung unter Umständen nur bedingt geeignet ist.

Hybride Versammlung
Die Abhaltung einer hybriden Versammlung bietet den Teilnehmer:innen die größte Flexibilität, da diese Art eine Mischung zwischen der klassischen physischen und der virtuellen Versammlung darstellt. Für die virtuelle Teilnahme gelten die Bestimmungen für die einfache oder moderierte virtuelle Versammlung. Man kann frei wählen, in welcher Form man teilnehmen möchte. Die Gesellschaft hat dabei zu gewährleisten, dass physische und virtuelle Teilnehmer:innen gleichwertig behandelt werden.

Sonderbestimmungen für börsennotierte Aktiengesellschaften

Für virtuelle Versammlungen von börsennotierten Aktiengesellschaften gelten zusätzlich noch folgende Regelungen, die primär Minderheitsaktionär:innen schützen sollen:

  • Frage- und Antragsrecht vorab:
    So können Aktionär:innen ihr Frage- und Antragsrecht schon im Zeitraum vor der Versammlung ausüben. Die Gesellschaft hat ihnen dazu einen elektronischen Kommunikationsweg bereitzustellen, über den sie Fragen und Beschlussanträge vom Zeitpunkt der Einberufung bis spätestens am dritten Werktag (oder einem vom einberufenden Organ festzulegenden späteren Zeitpunkt) vor der Versammlung an die Gesellschaft übermitteln können. Diese Fragen und Beschlussanträge sind in der Versammlung zu verlesen oder den Teilnehmer:innen auf andere Weise zur Kenntnis zu bringen (z. B. Veröffentlichung im Internet). Davon unberührt bleibt die Möglichkeit der Aktionär:innen, sich in der Hauptversammlung selbst zu Wort zu melden.
  • Kostenlose Stimmrechtsvertreter:innen:
    Weiters hat die Gesellschaft auf ihre Kosten den Aktionär:innen mindestens zwei Stimmrechtsvertreter:innen zur Verfügung zu stellen, die von ihnen zur Stellung von Beschlussanträgen, zur Stimmabgabe und gegebenenfalls zur Erhebung eines Widerspruchs in der virtuellen oder hybriden Hauptversammlung bevollmächtigt werden können. Aktionär:innen sind jedoch nicht verpflichtet, von diesen Stimmrechtsvertreter:innen Gebrauch zu machen.
  • Stimmabgabe vorab:
    Bei entsprechender Regelung in der Satzung können auch bei virtuellen Versammlungen Stimmabgaben bereits vor der Versammlung auf elektronischem Weg ermöglicht werden. Die betreffenden Aktionär:innen können die abgegebenen Stimmen jedoch bis zur Abstimmung in der virtuellen oder hybriden Hauptversammlung widerrufen und allenfalls erneut abstimmen. Im Übrigen gelten die Bestimmungen über die Fernabstimmung gemäß § 126 AktG sinngemäß.
  • Verlangen einer Präsenzversammlung:
    Aktionär:innen, die zusammen zumindest 5 Prozent des Grundkapitals der Gesellschaft halten, können bis zum Ende des Geschäftsjahres verlangen, dass die nächste ordentliche Hauptversammlung in einer Form durchgeführt wird, die eine physische Teilnahme der Aktionär:innen ermöglicht, sofern die letzte ordentliche Hauptversammlung nach dem VirtGesG (nicht jedoch auf Grundlage des COVID-19-GesG) in virtueller Form stattgefunden hat. Damit soll sichergestellt werden, dass nicht gegen den Willen der Minderheit ausschließlich virtuelle ordentliche Hauptversammlungen stattfinden.

Handlungsbedarf

Nach dem VirtGesG ist die Durchführung virtueller Versammlungen künftig nur möglich, sofern dazu explizite Regelungen im Gesellschaftsvertrag, in der Satzung bzw. in den Statuten existieren.

Damit wird der entsprechenden vertraglichen Ausgestaltung große Bedeutung zukommen. So kann etwa vorgesehen werden, dass Gesellschafterversammlungen stets virtuell durchzuführen sind. Ebenso kann geregelt werden, dass alternativ zu einer einfachen virtuellen Versammlung eine moderierte virtuelle Versammlung oder eine hybride Versammlung durchgeführt werden kann. Der Gesellschaftsvertrag kann aber auch die ausschließliche Durchführung einer bestimmten Form einer virtuellen Versammlung festlegen. Alternativ können sämtliche Entscheidungen über die Art der Durchführung auch an das einberufende Organ delegiert werden.

Vor diesem Hintergrund werden bei nahezu allen bestehenden Gesellschaftsverträgen, Satzungen bzw. Statuten entsprechende Anpassungen notwendig sein, will man sich auch künftig die Option offenhalten, Gesellschafterversammlungen in virtueller Form durchzuführen.

Dieser Artikel zum Thema virtuelle Gesellschafterversammlung ist im aktuellen EY Tax & Law Magazine 3/2023 erschienen, welches Sie hier als PDF lesen können:

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Florian Haiderer ist Rechtsanwalt in Wien bei der EY Law — Pelzmann Gall Größ Rechtsanwälte GmbH. Seine Tätigkeitsschwerpunkte liegen im Bereich Gesellschafsrecht, Umgründungen und Umstrukturierungen sowie im allgemeinen Vertragsrecht.

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