Kartellrecht: Neue Regeln für die Zusammenarbeit konkurrierender Unternehmen

Kartellrecht Update EY Law

Seit 1. Juli 2023 gilt ein neuer Rechtsrahmen für die kartellrechtliche Beurteilung von Kooperationsvorhaben zwischen Wettbewerbern: Die Neufassungen der Gruppenfreistellungsverordnungen für Forschung & Entwicklung (F&E-GVO) und Spezialisierungsvereinbarungen (Spez-GVO) sind in Kraft getreten. Zudem hat die Europäische Kommission neue Horizontal-Leitlinien veröffentlicht.

Die GVOen ermöglichen für gewisse Arten von Kooperationsvorhaben in den Bereichen Forschung & Entwicklung sowie Zusammenarbeit in der Produktion eine gruppenweise Freistellung vom Kartellverbot. Sie ersetzen die Vorgängerfassungen aus dem Jahr 2010 und gelten für zwölf Jahre. Für bestehende Kooperationsvereinbarungen gilt eine Übergangsfrist: Sie bleiben bis 30. Juni 2025 nach den Vorgängerverordnungen freigestellt.

Die Horizontal-Leitlinien dienen als Orientierungshilfe für Unternehmen zur Beurteilung der kartellrechtlichen Zulässigkeit von Kooperationsvorhaben mit Wettbewerbern. Sie behandeln verschiedene in der Praxis häufig vorkommende Arten unternehmerischer Zusammenarbeit, wie Einkaufskooperationen, Produktionsvereinbarungen, Vertriebskooperationen und das Thema Informationsaustausch. Im Vergleich zur Vorgängerfassung wurden die Leitlinien in wesentlichen Punkten überarbeitet und ergänzt. Ein Überblick:

Neuerungen in den GVOen

  • Die Marktanteilsschwellen für die Anwendung der F&E-GVO (25 %) und Spez-GVO (20 %) bleiben unverändert. Neu ist die Möglichkeit der Heranziehung eines 3-Jahres-Durchschnitts zur Marktanteilberechnung, sofern Daten des letzten Geschäftsjahres nicht aussagekräftig sind.
  • Neue, vereinfachte „Schonfrist“ von zwei Jahren bei Überschreiten der Marktanteilsschwelle, unabhängig vom Ausmaß des Markanteilszuwachses.

Spez-GVO

  • Ausweitung des Anwendungsbereichs: Geltung nun auch für alle Spezialisierungsvereinbarungen, die zwischen mehr als zwei Parteien geschlossen wurden.
  • Klarstellende Formulierung zur Marktanteilsschwelle: Verdeutlichung, dass im Fall einer Kooperation in der Herstellung von Zwischenprodukten nicht nur der Marktanteil in Bezug auf die Zwischenprodukte, sondern auch jener auf dem nachgelagerten Markt die Schwelle von 20 % nicht überschreiten darf.

F&E-GVO

  • Ausführlichere Regelung der Freistellungsvoraussetzungen betreffend den Zugang zu Endergebnissen und bereits vorhandenem Know-how sowie die gemeinsame Verwertung der Ergebnisse.
  • In einer Entwurfsfassung der neuen F&E-GVO war noch eine Verschärfung vorgesehen, wonach eine Freistellung nur bei Vorliegen zumindest drei weiterer konkurrierender F&E-Anstrengungen möglich sein sollte. Diese Regelung ist auf breite Kritik gestoßen und hat letztlich nicht Eingang in die finale Fassung der F&E-GVO gefunden.

Neuerungen in den Horizontal-Leitlinien

  • Gänzlich neues Kapitel über Nachhaltigkeitsvereinbarungen: Erläuterungen zur Beurteilung von Vereinbarungen zwischen Wettbewerbern, mit denen ein Nachhaltigkeitsziel verfolgt wird (zB Klima- und Umweltschutz, Tierwohl, Achtung der Menschenrechte). Darstellung berücksichtigungswürdiger Verbrauchervorteile: darunter der nutzungsunabhängige Vorteil einer höheren Bewertung nachhaltiger Produkte durch Verbraucher (bemessen an einer höheren Zahlungsbereitschaft) und kollektive Vorteile, sofern zwischen den Begünstigten und den Verbrauchern des Produkts eine wesentliche Überschneidung besteht.
  • Neugestaltung und Erweiterung des Kapitels Informationsaustausch, um der großen praktischen Bedeutung des Themas gerecht zu werden: Relevante Kategorien sensibler Informationen werden detailliert beschrieben. Weitere Erläuterungen zur Einordnung einer einseitigen Offenlegung sowie eines indirekten Austausches von Informationen wurden aufgenommen. Daneben finden sich Maßnahmenempfehlungen zur Vermeidung kartellrechtlicher Risiken im Zusammenhang mit Informationsaustausch, zB die (in der Praxis ohnehin schon gebräuchliche) Einrichtung von Clean Teams bei M&A-Transaktionen. Außerdem neu ist ein Schema zur Selbstprüfung für Unternehmen, die Informationen austauschen wollen.
  • Erweiterung des Kapitels über Einkaufsvereinbarungen: Klarstellung, dass die Grundsätze auch Anwendung finden, wenn Unternehmen bloß Einkaufspreisverhandlungen gemeinsam führen, den eigentlichen Einkauf aber jeweils selbständig durchführen. Daneben finden sich Erläuterungen zur Abgrenzung zwischen (zulässigen) Einkaufskooperationen und (verbotenen) Einkaufskartellen.
  • Erweiterung des Kapitels über Vermarktungsvereinbarungen: Der neue Abschnitt „Bieterkonsortien“ gibt eine Hilfestellung zur praktisch bedeutsamen Frage der Zulässigkeit einer gemeinsamen Angebotsabgabe in öffentlichen oder privaten Ausschreibungsverfahren („Bietergemeinschaften“) und der Abgrenzung von verbotenen Angebotsabsprachen.

Handlungsempfehlungen

  • Überprüfung bestehender F&E-Kooperationen und Vereinbarungen über Zusammenarbeit in der Produktion. Anpassung an die neuen Regeln bis spätestens 30. Juni 2025.
  • Analyse von Kooperationsmöglichkeiten und daraus erzielbaren Effizienzgewinnen unter Beachtung des neuen Regelwerks.
  • Berücksichtigung der Leitlinien zum Informationsaustausch im geschäftlichen Alltag, insbesondere auch im Zusammenhang mit Aktivitäten in Branchenvereinigungen.

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Rechtsanwalt EY Law David Konrath, Wettbewerbsrecht, Compliance Kartellrecht Österreich

Mag. David Konrath, LL.M.

Rechtsanwalt, Kartell- und Wettbewerbsrecht
david.konrath@eylaw.at

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