Urlaubsverjährung: Was ist für Dienstgeber in der Praxis zu beachten?

Urlaubsverjährung Österreich Gesetz: was ist für Dienstgeber in der Praxis zu beachten - EY Law News

Die Urlaubsverjährung im Lichte der jüngsten EuGH-Rechtsprechung

Im Spannungsverhältnis zwischen nationalem Urlaubsrecht und aktueller EuGH-Rechtsprechung können Dienstgeber mitunter die Leidtragenden sein. Während das Urlaubsgesetz (UrlG) in Österreich keine Pflicht für Dienstgeber kennt, auf eine drohende Verjährung hinzuweisen, wird dies vom EuGH konkret gefordert. Im nachfolgenden Artikel sollen die Konsequenzen der jüngsten EuGH-Rechtsprechung für die Praxis näher beleuchtet werden.

Urlaubsverjährung: Kann Urlaub in Österreich verfallen?

Der Urlaubsanspruch von Dienstnehmenden wird im Urlaubsgesetz geregelt. Grundsätzlich haben Beschäftigte — abhängig von der zurückgelegten Dienstzeit — Anspruch auf 30 bzw. 36 Werktage Urlaub (§ 2 Abs. 1 UrlG). Dies entspricht im Wesentlichen 5 bzw. 6 Wochen Urlaub.

Wird der Urlaubsanspruch nicht bzw. nicht zur Gänze in dem Urlaubsjahr, in dem er anfällt, verbraucht, wird er so lange automatisch in das nächste Urlaubsjahr übertragen, bis er verjährt. Gemäß § 4 Abs. 5 UrlG verjährt der Urlaubsanspruch nach Ablauf von zwei Jahren ab dem Ende des Urlaubsjahres, in dem er entstanden ist. Das heißt, Beschäftigte haben nach nationalem Recht für ihren Urlaubsverbrauch grundsätzlich drei Jahre Zeit, bevor es zu einem Untergang des Urlaubsanspruchs kommt.

Diese Verjährungsregelung in Österreich rückt allerdings angesichts der jüngeren EuGH-Rechtsprechung in den Hintergrund. Grund dafür ist die Auslegung des EuGH hinsichtlich der Wirkung von EU-Richtlinien. Zwischen privaten Dienstvertragsparteien sind Richtlinien nicht unmittelbar anwendbar, weshalb sich Dienstnehmende in einem Rechtsstreit mit Dienstgebern grundsätzlich nicht auf eine Richtlinienbestimmung berufen können. Im Urlaubsrecht besteht aber die Besonderheit, dass das Recht auf bezahlten Jahresurlaub nicht nur durch Art. 7 der Arbeitszeit-Richtlinie (AZ-RL), sondern darüber hinaus auch durch Art. 31 Abs. 2 Grundrechtecharta (GRC) verbürgt ist (EuGH, 30.06.2016, Rs. C-178/15, Sobczyszyn). Über die Grundrechtecharta hat der EuGH eine „unmittelbare“ Wirkung der AZ-RL geschaffen, indem er den primärrechtlichen Charakter des Urlaubsanspruchs bejahte, mit der Folge, dass den Richtlinienvorgaben widersprechende Regelungen des nationalen Rechts unangewendet bleiben müssen (EuGH, 06.11.2018, Rs. C-684-16, Max-Planck-Gesellschaft). Damit werden die Vorgaben des EuGH auch für private Dienstgeber relevant, da sich diese nicht mehr auf das dem Grundrecht auf Urlaub inhaltlich widersprechende nationale Recht berufen können.

Welche Auswirkungen ergeben sich dadurch für das österreichische Urlaubsrecht?

Nach EuGH-Rechtsprechung müssen Dienstgeber ihre Beschäftigten in die Lage versetzen, ihren Anspruch auf Urlaub tatsächlich wahrnehmen zu können (EuGH, 29.11.2017, Rs. C-214/16, King). Dienstgeber sind in Anbetracht des zwingenden Charakters des Rechts auf bezahlten Jahresurlaub und des Erfordernisses, die praktische Wirksamkeit von Art. 7 der AZ-RL zu gewährleisten, verpflichtet, konkret und in völliger Transparenz dafür zu sorgen, dass ihre Beschäftigten tatsächlich in der Lage sind, ihren bezahlten Jahresurlaub zu nehmen. Dienstgeber müssen demzufolge ihre Beschäftigten — erforderlichenfalls förmlich — zum Urlaubsverbrauch auffordern und ihnen klar und rechtzeitig mitteilen, dass und wann der Urlaub verfallen wird. Die Beweislast dafür tragen die Dienstgeber (EuGH, 16.03.2006, verb. Rs. C-131/04 und C-257/04, Robinson-Steele u. a.).

Können Dienstgeber nicht nachweisen, dass sie mit aller gebotenen Sorgfalt gehandelt haben, um ihre Beschäftigten tatsächlich in die Lage zu versetzen, den ihnen zustehenden Urlaubsanspruch wahrzunehmen, verstieße das Erlöschen des Urlaubsanspruchs gegen Art. 7 der AZ-RL (EuGH, 06.11.2018, Rs. C-619/16, Kreuziger). Ein Urlaubsverfall darf zudem nicht automatisch eintreten. Es muss eine vorherige Prüfung stattfinden, ob Beschäftigte von ihren Dienstgebern z. B. durch angemessene Aufklärung tatsächlich in die Lage versetzt wurden, den Urlaubsanspruch wahrzunehmen (EuGH, 06.11.2018, Rs. C-684/16, Shimizu; EuGH, 22.09.2022, Rs. C-120/21, LB).

im Ergebnis bedeutet dies für Dienstgeber, dass

  1. Beschäftigte auf die Möglichkeit zum Urlaubsverbrauch hinzuweisen sind und
  2. die faktische Möglichkeit dafür geschaffen werden muss, dass der Urlaub von den Beschäftigten auch tatsächlich (vor Eintritt der Verjährung) in natura genommen werden kann. Ist der Nichtverbrauch auf Umstände zurückzuführen, die der Dienstgeber zu verantworten hat, kann es zu keinem zeitbedingten Untergang des Urlaubsanspruchs mehr kommen (EuGH, 29.11.2017, C-214/16, King).

Im Sinne der EuGH-Rechtsprechung hat nunmehr auch der Oberste Gerichtshof entschieden. In der kürzlich veröffentlichten Entscheidung vom 27.06.2023 zu 8 ObA 23/23z wurde die Nichtverjährung von Alt-Urlaubsansprüchen angenommen, da der Dienstgeber seiner Aufforderungs- und Hinweisverpflichtung nicht nachgekommen sei, was einer Verjährung des Urlaubsanspruchs nach Art. 7 Abs. 1 der AZ-RL entgegenstehe.

Konsequenzen der Hinweispflicht von Dienstgebern für die Praxis?

Ein bloß allgemeiner Hinweis im Dienstvertrag auf den Verfall von Urlaubsansprüchen wird den Anforderungen des EuGH nicht gerecht werden.

Dienstgebern ist daher anzuraten, ihren Beschäftigten rechtzeitig in jedem Urlaubsjahr (möglichst zu Beginn) eine schriftliche Mitteilung zukommen zu lassen, aus der sich der konkrete Urlaubsanspruch ergibt und mit der die Beschäftigten — unter Hinweis auf die Verjährung — ausdrücklich aufgefordert werden, ihren Urlaub innerhalb des Urlaubsjahres in Anspruch zu nehmen. Dies setzt letztlich eine laufende Überwachung der Urlaubsansprüche der Beschäftigten voraus.

Bei Verletzung dieser Hinweispflicht droht das Risiko, dass die Einrede der Verjährung trotz der nationalen Verjährungsbestimmung im UrlG aufgrund gegebener Unionsrechtswidrigkeit nicht greift und der Urlaubsanspruch weiterhin besteht. Dies kann auch Auswirkungen auf die Abgeltung offener Urlaubsansprüche bei Beendigung des Dienstverhältnisses haben. „Alturlaub“ ist nach § 10 Abs. 3 UrlG in voller Höhe abzugelten. Die Abgeltung gebührt für nicht verjährten Urlaub. Kann der Anspruch infolge Verletzung der Hinweispflicht nicht verjähren, ist er somit abzugelten. Dies kann dazu führen, dass auch noch ein bereits vor mehr als drei Jahren entstandener Urlaubsanspruch abzugelten ist. Dies ist auch insofern von Brisanz, als mit der Begründung der mangelnden Verjährung von früheren Mitarbeitenden Ersatzzahlungen für von Dienstgebern nicht abgegoltene Alt-Urlaubsansprüche aus bereits beendeten Dienstverhältnissen begehrt werden könnten.

RESÜMEE
Der EuGH bejaht eine unmittelbare Anwendung des § 31 Abs. 2 der Grundrechtecharta zwischen Privaten.

Nach EuGH-Rechtsprechung kann Urlaub nicht verjähren, wenn Dienstgeber ihre Beschäftigten nicht durch aktive Aufforderung zum Urlaubsverbrauch in die Lage versetzen, den ihnen zustehenden Urlaub zu nehmen, und sie nicht auf eine drohende Urlaubsverjährung hinweisen.

Werden die unionsrechtlichen Grundsätze durch den Dienstgeber verletzt, besteht auch unter Berücksichtigung der kürzlich ergangenen OGH-Entscheidung zu 8 ObA 23/23z das Risiko, dass die Einrede der Urlaubsverjährung ins Leere geht und offene Alturlaubsansprüche nicht verjähren. Allerdings sollte das nur für jene Alt-Urlaubsansprüche gelten, die den unionsrechtlich gesicherten Jahresurlaub von vier Wochen umfassen. Für darüber hinausgehende Alt-Urlaubsansprüche, die aus der Nichtkonsumation der fünften und/ oder sechsten Urlaubswoche resultieren, bietet das Unionsrecht u. E. keine Grundlage.

Dieser Artikel zum Thema Urlaubsverjährung ist im aktuellen EY Tax & Law Magazine 3/2023 erschienen, welches Sie hier als PDF lesen können:

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Mag. Christina Schrott
Juristin bei EY Law in Salzburg | Arbeitsrecht
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